Ethnologische Museen als institutionalisierte Bedeutungsträger

 

Ein Interview mit Peggy Buth

 

Die in Berlin geborene Künstlerin Peggy Buth (*1971) ist bekannt für ihre findigen und facettenreichen Perspektiven auf die Geschichte ethnologischer Museen und deren Sammlungen. Folgerichtig wurde sie 2013 als Artist in Recideny zu den Vorbereitungen der Ausstellung „WARE & WISSEN (or the stories you wouldn’t tell a stranger)“ in das Frankfurter Weltkulturen Museum eingeladen. Im August 2016 habe ich sie im Garten des Jüdischen Museums zu Berlin getroffen, um über ihre Erfahrungen und Erkenntnisse zu sprechen.

 

Beatrice Barrois (BB): In den letzten Jahren haben sich in der Art und Weise, wie ethnologische Museen ihre Sammlungen präsentieren verschiedene Trends abgezeichnet. Ein Versuch, die prekäre Kolonialgeschichte und deren Zeugnisse neu zu beleuchten, ist es mit KünstlerInnen zusammenzuarbeiten. Ich denke da beispielsweise an das „Humboldt Lab“ in Berlin und das Projekt „Grassi invites“ in Leipzig, aber natürlich auch an das „Weltkulturen Labor“ in Frankfurt. Was hältst Du grundsätzlich von der Entwicklung, Kunstschaffende in ethnologische Museen einzuladen?

 

Peggy Buth (PB): Generell sehe ich das positiv, wobei ich denke, dass man dieser Entwicklung nicht völlig unkritisch begegnen darf. Ich kann bestimmte kritische Haltungen nachvollziehen. Besonders interessant finde ich die Reaktionen und den Umgang mit dem, was von KünstlerInnen in ethnologischen Museen fabriziert wird. Es ist spannend zu beobachten, wie KünstlerInnen diese Situation für ihre eigene Arbeit nutzen und wie sich die Institutionen des Ethnologischen Museums, aber auch wie sich VertreterInnen der Kulturwissenschaft und Kunstwissenschaft innerhalb der Diskurse positionieren. Ich lese viel darüber und verfolge unterschiedliche Aspekte zu der Thematik schon länger. Allein die Tatsache, dass eine künstlerische Auseinandersetzung mit ethnologischen Sammlungen offensichtlich als Störfaktor angesehen wird, ist interessant. Ich war kürzlich in der Ausstellung „FREMD“ im Grassi Museum Leipzig. Bei einem Blick ins Gästebuch ist mir aufgefallen, wie heftig BesucherInnen, ja selbst WissenschaftlerInnen, ihrem Ärger über die Arbeit von KünstlerInnen mit ethnologischen Sammlungen Ausdruck verleihen. Es ist interessant, wie sich Leute durch so eine Ausstellung angegriffen fühlen. Das hat etwas Lebendiges. Insofern sehe ich diese Entwicklung durchaus positiv. Natürlich wurde hier und da auch viel Unsinn oder eher hilflose Auftragsarbeit von KünstlerInnen für die Museen produziert, die lediglich einen Stillstand, eine Ratlosigkeit im Umgang mit den vorhandenen Sammlungen von beiden Seiten zeigen. Andererseits gibt es auch viele Beispiele, bei denen es gelang, durch künstlerische Arbeiten oder auch Interventionen ein Nachdenken anzuregen, sowie die Notwendigkeit von Veränderungen aufzuzeigen. Als KünstlerIn erfährt man bei der Realisierung einer Arbeit innerhalb einer Institution unterschiedliche Reaktionen: Stillstand, Stagnation und Verweigerung, aber auch Offenheit, Bewegungsdrang und auch Momente der Veränderung. Im Rahmen der Ausstellung „WARE & WISSEN (or the stories you wouldn’t tell a stranger)“ konnte ich durch die Zusammenarbeit mit der damaligen Direktorin des Weltkulturen Museums Clémentine Deliss, solche Bewegungsmomente innerhalb der Institution miterleben. Es ging darum, verfestigte Strukturen aufzubrechen und in Frage zu stellen. Dies verursachte vor Ort sehr viel Unruhe und auch Gegenwehr.

 

BB: Von manchen Seiten kam heftige Kritik an diesem neuen Konzept des Weltkulturen Museums. Wie hast Du das erlebt und wie denkst Du darüber?

 

PB: Einige Vorwürfe wiederholten sich, z.B. dass das Vorgehen von Clementine Deliss als Direktorin des Museums mitunter unwissenschaftlich sei, die eingeladenen KünstlerInnen dilettantisch vorgehen würden und somit eine „Gefährdung der Sammlung“ bzw. gar „Schädigung der Ethik der Ethnologie“ als wissenschaftliche Disziplin vorläge. Künstlerische wie wissenschaftliche Aufarbeitungen zeigen in unterschiedlichen Fachgebieten und gesellschaftlichen Bereichen, dass ethnologische Museen institutionalisierte Bedeutungsträger des Kolonialismus waren und immer noch sind. Christian Kravagna hat von „Monumenten des Kolonialismus“ gesprochen. Dem würde ich mich anschließen. Ich finde man sollte ethnologische Museen unter genau diesem Aspekt betrachten. Doch leider wird genau dieser Fakt von einigen (Museums)EthnologInnen und KustodInnen, die tlw. schon sehr viele Jahre an den Museen arbeiten und dort quasi ihr Lebenswerk realisieren möchten, ignoriert oder eben auch abgelehnt. Dabei treffen zusätzlich alte und neue Arbeitsverhältnisse aufeinander, was die Situation eher weiter aufspannt und anfeuert. KünstlerInnen, die ins Museum kommen, um dort zu arbeiten, werden mancherorts als Störfaktoren wahrgenommen, die vermeintlich laienhaft in ein Fachgebiet, in dem „schon viel geleistet wurde“, eindringen. Die künstlerischen Außenperspektiven können sehr unangenehm für die eher gesetzte Institutions-Struktur des Ethnologischen Museums sein. Ich denke dies ist ein ernstzunehmendes Problem. Die gesetzte Museums-Institution wehrt sich, lässt sich in ihrem Selbstverständnis nicht einfach hinwegfegen. Damit einher geht eine Unwissenheit über zeitgenössische Kunst, mitunter Interesselosigkeit, Ablehnung, auch Herablassung. Natürlich ist das nicht generell der Fall, aber nach meiner Erfahrung herrscht in wissenschaftlichen Museumseinrichtungen eher eine Verunsicherung und Ablehnung gegenüber künstlerischer Forschung. Ich als Künstlerin kann damit jedoch noch am ehesten umgehen. Ich habe kein Problem damit, wenn mich jemand nicht ernst nimmt. Irgendwie gehört dies eben auch zu der Arbeit mit oder über diese Institutionen dazu.

 

BB: Im Jahre 2009 eröffnete Deine Ausstellung „Desire in Respresentation“ im Württembergischen Kunstverein Stuttgart. Für die Ausstellung hast Du in den Jahren zuvor auf Eigeninitiative ein Projekt im Königlichen Museum für Zentral-Afrika in der belgischen Gemeinde Tervuren bei Brüssel durchgeführt. Da Du als Künstlerin nicht offiziell eingeladen wurdest, bist Du bei Deiner Recherche sicherlich des öfteren auf verschlossene Türen gestoßen. Inwieweit hat Dich diese Erfahrung für die Arbeit im Frankfurter Weltkulturen Museum sensibilisiert?

 

PB: Das Projekt in Belgien lief über mehrere Jahre, von 2004 bis 2008 und wurde zwischendurch vom Museum selbst zweimal gestoppt. Es wurde als seltsam oder gar verdächtig eingeordnet, dass ich als Künstlerin immer wieder im Archiv oder in irgendwelchen Ecken im Museum oder in geschlossenen Sammlungsräumen fotografieren wollte. Oft wurde ich gefragt, ob ich Wissenschaftlerin sei und warum ich mich als Künstlerin für Recherchearbeit im Museumsarchiv interessiere. Es fehlte ein Verständnis dafür, dass KünstlerInnen in gewisser Weise ganz ähnliche Arbeitsweisen wie WissenschaftlerInnen anwenden, darüber hinaus aber auch künstlerisch arbeiten, die Ergebnisse der Recherchen anders verarbeiten. Ich habe beispielsweise leere Vitrinen und sichtbare Leerstellen, abgebrochene Displays fotografiert. Irgendwann haben meine Tätigkeiten einen unangenehmen Verdacht verursacht und meine Arbeit kam ins stocken, weil ich nicht mehr ins Museum gelassen wurde bzw. nicht mehr fotografieren durfte. Das änderte sich durch eine immer wieder notwendige Vermittlungsarbeit und erneute Anfragen meinerseits. Es war ein langwieriger und mitunter ziemlich zäher Prozess. Ich habe durch das Projekt im belgischen Afrika-Museum viel über das ethnologische Museum als diskursiven Machtapparat gelernt. Clémentine Deliss habe ich auf der Tagung „The artist as ethnographer“ im Musée du quay Branly in Paris, im Mai 2012 kennengelernt. Zu dieser Tagung waren WissenschaftlerInnen, KuratorInnen aber und auch einige wenige KünstlerInnen eingeladen, die in ethnologischen Museen Projekte realisiert hatten. Clémentine Deliss hat mich danach sehr bald nach Frankfurt a. Main ins Weltkulturen Museum eingeladen. Zu Beginn war ich eher skeptisch, allein schon aus meiner Erfahrung in Tervuren, in Belgien heraus. In Frankfurt schien allerdings alles erlaubt. Ich hatte Zugang zum Bildarchiv, zu den Depots. Keine Tür schien verschlossen. Ich konnte im Museum wohnen, mich Tag und Nacht mit dem Bildarchiv beschäftigen, die Arbeitsstrukturen der Institution kennenlernen. Die von mir im belgischen Afrika-Museum erfahrene Beschränkung des Zugangs war ein großes Hindernis. Man musste immer wieder gegen ein Misstrauen angehen. In Frankfurt hingegen waren die Möglichkeiten gegeben, sich frei zu bewegen und das empfand ich, im Gegensatz zu Tervuren, als Chance, als seltsame Freizügigkeit, die ich fast ordinär fand. Mit ordinär meine ich die völlige Verfügbarkeit der Sammlung. Ich war plötzlich Teil des Ganzen, was mir zu schaffen machte.

 

BB: Der Begriff „künstlerische Forschung“ steht momentan hoch im Kurs. Du hast gerade beschrieben, dass Du bei Deiner Recherche im Königlichen Museum für Zentral-Afrika in Tervuren teilweise mit wissenschaftlichen Methoden gearbeitet hast. Wie würdest Du das beschreiben, das Du während Deiner Zeit am Weltkulturen Museum tatsächlich gemacht hast. War es eine Art Forschung? Oder war es eher ein künstlerischer Prozess? Könntest Du mir bitte eine Beschreibung Deiner Tätigkeiten geben?

 

PB: In Belgien hatte ich ursprünglich vor eine dokumentarische oder konzeptuelle Fotoarbeit zu verwirklichen, um das Museum als Institution des Kolonialismus zu hinterfragen. Der Zustand und die Größe des Museums, die wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen und die Verknüpfungen mit der Belgischen Kolonialgeschichte waren sehr interessant. Vor mir tat sich ein riesiges Feld auf. Letzten Endes habe ich mich speziell auf eine Geschichte, die ich im Archiv gefunden habe, konzentriert. Es handelte sich um das Jugendbuch „My Kalulu, Prince, King, and Slave“ von Henry Morton Stanley von 1873, der eng mit der Belgischen Kolonialgeschichte verknüpft ist. In Frankfurt wollte ich mir zunächst offenhalten, was ich im Museum machen würde. Es hat sich dann jedoch sehr schnell eine Besonderheit ergeben. Im Bildarchiv existiert eine größere Sammlung von Fotografien, die von Missionaren angefertigt wurden. Ich habe mir natürlich auch die Depots mit den ethnografischen Objekten angesehen und dort mehrere Führungen von den Kustodinnen des Museums bekommen. Es war mir allerdings sehr schnell klar, dass ich mit den Objekten nichts machen möchte. Für mich war das Depot ein ziemlich beklemmender Ort. Zunächst kam mir zwar die Idee, eine filmische Arbeit zum Depot als sozialen Raum zu machen, aber dabei hätte eher die Tätigkeiten der KustodInnen und der anderen MitarbeiterInnen und nicht die ethnografischen Objekte im Mittelpunkt gestanden. Der Ansatz von Clémentine Deliss war, spezielle Objekte aus den Sammlungen in das sogenannte Weltkulturen Labor zu transferieren und damit zu arbeiten. Diese Idee ist sehr interessant, aber für mich war eher das Archiv als diskursiver Machtraum und sozialer Raum mit den unterschiedlichen Arbeitsprozessen, subjektiven Positionierungen, Identifizierungen und Benennungen wichtig. Letztendlich bin ich im Bildarchiv auf diese spezielle Sammlung von Missionsfotografien gestoßen, die direkt mit der Geschichte des Frankfurter Museums zu tun hatten. Ich wollte eine Arbeit daraus entwickeln. Bei meiner Herangehensweise ist es mir sehr wichtig, verschiedene Elemente miteinander zu verschränken und diese Verwebungen ständig zu erweitern, ausufern zu lassen, anders zu verknüpfen. Ich möchte mit meiner Kunst nie nur eine mögliche, lesbare Antwort produzieren, sondern mit einer produktiven Unschärfe eine Art Ergänzung herstellen oder die Leerstelle projizieren. Die Betrachter sind aufgefordert mitzudenken. Ich versuche immer Arbeiten zu entwickeln, die verschiedene Deutungen und Lesarten zulassen. Beispielsweise ermöglichen Ergänzungen durch Objekte, wie sie in der Ausstellung WARE & WISSEN (or the stories you wouldn’t tell a stranger) mit der Figurengruppe von historischen Schaupuppen gezeigt wurde, neue Bedeutungsebenen. Ich habe mich intensiv mit der Geschichte der Fotografie beschäftigt und fand den besonderen Umgang mit Fotografien im Kontext der Ethnologie interessant. Bei meiner Recherche im Bildarchiv ist mir aufgefallen, dass diese Fotografien auf ganz unterschiedlichen Wegen ins Museum gekommen sind. Eigentlich wollte ich mich nur mit den Missionsfotografien beschäftigen. Die Kubai-Schaufiguren wurden aber ein zusätzliches und wichtiges Element meiner Installation und damit auch der Ausstellung insgesamt. Sie hatten einen seltsamen Bezug zu den Fotografien. Mich interessierte an den Fotografien die unterschiedlichen fotografischen Darstellungs- oder auch Annäherungsweisen der Missionare. Man kann anhand der Archiv-Bilder natürlich auch die komplexe Entwicklungsgeschichte der Fotografie sowie deren Wandel in der Darstellung und fotografischen Abbildung von Menschen aus vermeintlich ethnologischer Perspektive betrachten. Ein Vergleich von Aufnahmen, die um die Jahrhundertwende 1900 entstanden, mit Bildern aus den 1960er Jahren verrät viel über den Blick von EthnologInnen und MissionarInnen und wie sie sich Menschen genähert haben. Man erkennt adäquate Verbindungen zum jeweiligen Status Quo der Fotografie als Medium der Wissenschaft aber auch der Kunst. Darüber hinaus interessierte mich die Materialität der Bilder, wie mit den Fotografien gearbeitet wurde, wo sie wie veröffentlicht wurden, in welchen wissenschaftlichen Diskursen sie auftauchten. Das alles sind Untersuchungen, die zum Handwerkszeug von Kunst- und KulturwissenschaftlerInnen oder anderen GeisteswissenschaftlerInnen gehören. Vor diesen Überlagerungen fürchte ich mich nicht. Ich bezeichne mich nicht als Wissenschaftlerin, sondern dezidiert als Künstlerin. Für mich sind wissenschaftliche Ästhetiken interessant, die ich teilweise auch übernehme oder weiterverarbeite. Ich dokumentiere zum Beispiel bei meinen Recherchen häufig Archivregister mit den Eintragungen von ArchivarInnen, die z.T. aus sehr unterschiedlichen Zeiträumen stammen. Mich interessieren die Verschiebungen der jeweiligen Bedeutungszuschreibungen und die Archiv-Systeme, die sie festschreiben sollen. Z.B. habe ich im Afrika-Museum von Belgien mit einem Bild in meiner Recherche gearbeitet, das ich später auch in anderen Archiven wiederentdeckt habe. Dieses Bild kursierte durch unterschiedliche Veröffentlichungen und auch verschiedene Sammlungstätigkeiten. Es stellte sich heraus, dass dasselbe Bild teilweise mit fehlerhaften Angaben, unterschiedlichen Jahreszahlen, Namen oder anderen Ortsbeschreibungen oder Zuschreibungen versehen war. Mich interessieren diese Bewegungen der Bilder, was ein Teil ihrer Materialität darstellt oder eben hergestellt wird. Im Frankfurter Bildarchiv fand ich eine Postkarte mit einer Aufnahme von Kubai, einem Papua aus Neuguinea. Die Fotografie wurde von dem Gründungsdirektor des Frankfurter ethnologischen Museums Bernhard Hagen gefertigt. Er hatte u.a. als Kolonialarzt in Neuguinea Plantagenarbeiter medizinisch versorgt, diese zugleich aber auch als Hobbyethnologe vermessen, fotografisch dokumentiert und anthropologische Studien durchgeführt. In seinen Veröffentlichungen zeigt sich eine große Akribie, mit der er zahlreiche Messungen an seinen PatientInnen vorgenommen hat. Die Figur von Bernhard Hagen und die Fülle seiner anthropometrischen Aufnahmen aus dem Archiv, war auch für Clémentine Deliss als Kuratorin der „WARE & WISSEN“ Ausstellung interessant und wurde so auch Teil der begonnenen Aufarbeitung. Dabei standen die Geschichte des Museums, Hintergrundwissen zur Figur des Gründungsdirektors Bernhard Hagen und seine anthropometrischen Fotografien im Vordergrund. Schließlich wurde die koloniale Entstehungsgeschichte des Museums ein wichtiger Teil der Ausstellung. Bernhard Hagens anthropometrische Veröffentlichungen als Plantagenarzt galten zu seiner Zeit womöglich als ambitionierte Wissenschaft. Seine Hinterlassenschaften zeugen jedoch auch von einer immensen Aggressivität und dem kolonialen Selbstverständnis seiner Zeit. Diese Tatsachen darf man in der Geschichtsschreibung eines solchen Museums nicht ignorieren.Warum gab und gibt es ethnologische Museen? Wer waren die Gründer? Welche Interessen führten zu ihrer Begründung? Welche Funktion haben sie heute?

 

BB: Die Offenlegung der wissenschaftlichen Standards der Zeit um 1900 und der kolonialen Verstrickungen des Museums waren ein basaler Aspekt der Ausstellung WARE & WISSEN (or the stories you wouldn’t tell a stranger). Meinst Du den BesucherInnen ist bekannt, was daraus letztlich resultierte?

 

PB: Es liegt auf der Hand, was aus diesen Entwicklungen letztlich resultierte. Sie wurden im Sinne von imperialen Expansions- und Profitinteressen gezielt weiter betrieben bis hin zum perfiden Massenmord, der in Kauf genommen wurde unter dem Deckmantel der Wissenschaft und Forschung. Diese Verbindungen nicht als Teil der eigenen Geschichte aufzuarbeiten und dementsprechend den Umgang mit ethnologischen Museen weiterzudenken, ist eine Tatsache, die inakzeptabel ist. Wissenschaften, die sich nur immer wieder auf ihren Wahrheitsgehalt und ihre vermeintliche Ethik berufen sind obsolet. Kommentare, die behaupten, Aufarbeitungen eines Zusammenhangs von ethnologischen Museen und Kolonialismus hatte man schon längst und bräuchte man nicht mehr, sind erstaunlich und zugleich interessant. Wenn ich mir den Zustand ethnologischer Museen in Deutschland, oder das Projekt, das zur Zeit in Berlin geplant wird, anschaue, erfasst mich ein kaltes Grauen. Die Argumentationsketten für das Humboldt Forum sind durchsichtig, wie z.B. „einzigartiges Zentrum für Kunst, Kultur, Wissenschaft und Bildung“, „weltoffen, human und liberal“, „Dialog der Kulturen“ oder „ein Schloss für Alle“. Das ist zynisch und verlogen. Koloniale Verhältnisse gibt es immer noch auf der ganzen Welt und Deutschland profitiert u.a. davon. Insofern findet eine kalkulierte Fortschreibung der kolonialen Verhältnisse und zugleich eine aggressive Verblödung statt. Als Künstlerin finde ich es interessant, wie sich dieses Selbstverständnis Materialisiert, z.B. wie es sich in Displays, Texten, Beschreibungen und Spezifika formatiert. Wenn ein tatsächlicher Einschnitt oder ein Umdenken gewollt wäre, könnte man das Humboldt Forum auch völlig anders konzipieren. Es gäbe durchaus sehr produktive Möglichkeiten und natürlich haben dazu schon vielfältige Bemühungen, Nachdenken und Initiativen etc. stattgefunden, wie z.B. die internationale Bündniskampagne „No Humboldt 21!“ oder „AfricAvenir“. Diese konnten sich Gehör verschaffen aber nicht durchsetzen, weil sie nicht zum politischen und kulturellen Establishment gehören.

 

BB: Das Berliner Humboldt Forum wird in seinen neuen Ausstellungshallen Objekte indigener Völker, wie den Kogi-Indianern aus Kolumbien zeigen. Carola Wedel drehte kürzlich eine interessante Reportage mit dem Titel „Die Indianer kommen - Indigene Völker im Berliner Humboldtforum“. In dem Film geht es um die bizarre Beziehung zwischen den Museumsleuten und den Menschen, denen einst diese Objekte gehörten. Es ist absurd mit anzusehen, wie die Vertreter der Kogi-Indianer bei einem Besuch in der Berliner Sammlung die Masken ihrer Vorfahren nur unter strenger Aufsicht betrachten und mit Handschuhen berühren dürfen. Für die zwei Kogi-Männer sind die Masken heilige, rituelle Zeugnisse ihrer Ahnen. Sie fordern eine Rückgabe, die von Berlin notorisch abgelehnt wird. Wie stehst Du dazu?

 

PB: Es gab vereinzelt Restitutionen, aber die sind die Ausnahme. Die Keller und Depots der Dahlemer Museen sind gut gefüllt mit ethnologischen Objekten, kolonialen Schätzen und Gebeinen von Kolonisierten. Wie diese Kulturgüter in die Sammlungen kamen ist weitestgehend unaufgearbeitet. Im Rahmen dieser Diskussion wurde mir im Weltkulturen Museum in Frankfurt beispielsweise gesagt, dass viele der Objekte und Kulturgüter auf rechtschaffende Weise angekauft oder eingetauscht wurden. In Einzelfällen mag dies glaubhaft sein. Allerdings geht es hierbei um Sammlungen von eben diesen „kolonialen Monumenten“, die häufig durch Raub, Plünderung und Mord nach Europa gelangten. Das muss immer im Vordergrund stehen! Es geht nicht nur um eine bloße Rückgabe oder diese seltsame materielle Denkweise, die Geschichte durch eine Auszahlung bereinigen zu können, sondern um eine ethische Reflexion, um eine angemessene Form des Handelns. Der Umgang mit den bestehenden Sammlungen ist Ausdruck einer zynischen Machtdemonstration. Die Menschen, deren Vorfahren diese Kulturgüter einst gehörten, bekommen die Rolle der Bittsteller zugewiesen.

 

BB: Kommen wir zurück zu „WARE & WISSEN (or the stories you wouldn’t tell a stranger)“. In einem Raum hast Du auf drei langen Tischen die im Bildarchiv vorgefundenen Missionsfotografien neu geordnet. Welche Gruppen haben sich für Dich dabei ergeben und wie bist vorgegangen?

 

PB: Es waren im künstlerischen Prozess immer subjektive Entscheidungen, die als solche auch erkennbar waren. Es handelte sich also nicht um wissenschaftliche Kategorien oder Ordnungsstrukturen, wie sie in Archiven auftauchen. Mich interessieren die Widersprüche oder Leerstellen in den Archiven, konstruierte Ordnungsmuster, die häufig von den sehr subjektiven Interessen der ArchivarInnen sprechen. Für meine Arbeit habe ich neue, eigene Gruppen und Anordnungen geschaffen, die so nicht im Archiv vorkommen. Ich arbeitete auch mit formalen Vergleichen zwischen Bildern, die im Archiv voneinander abgetrennt sind. Ich verfolgte Blickperspektiven der Autoren oder auch Blickverweigerungen der Dargestellten. Zudem habe ich mich mit den vorhandenen Archivkommentaren zu den Bildern beschäftigt, wie z.B. „sitzender Junge“, „Mann im Wald“, „Frau am Feuer“ etc., und diese Textfragmente in eine neue Zuordnung, Anordnung gebracht. Dadurch entstand ein seltsamer Stotter-Text. Es war mir wichtig, dass die Beschreibungen nicht explizit einzelnen Bildern, sondern den neu entstandenen Bildgruppen zugeordnet wurden. Die Beschreibungen stammen aus dem Archiv. Durch die Neuanordnung hatte sich aber eine eher dekonstruierende Seltsamkeit ergeben. Ich würde fast sagen, durch meine Arbeit wurde der vermeintlich objektive Blick der Kategorisierung ad absurdum geführt. Es war mir dazu wichtig, dieses Archiv-Material zugänglich zu machen. Die Präsentation der Bilder unter Glas auf langen Tischen, die Verfügbarkeit und der Blick von oben herab auf die Fotografien erzeugte bei vielen BesucherInnen ein unangenehmes Gefühl. Ich wollte versuchen offenzulegen, wo die Bilder herkommen oder das es mir nicht möglich war die Herkunft der Bilder zu bestimmen. Es handelte sich dabei um missionarische Sammlungen, die nie oder nur vereinzelt veröffentlicht wurden. Meist wurden in den Ausstellungen und Veröffentlichungen des Museums nie vollständige Serien, sondern nur einzelne Bilder gezeigt. Mir war es wichtig die kompletten Serien zu zeigen, um Verläufe, Beziehungen, Blickregime zwischen BetrachterInnen und Betrachteten aufzuzeigen.

 

BB: Im angrenzenden Raum standen vier Kubai Schaupuppen, den Blick starr auf die Fenster gerichtet. Was hat es damit auf sich?

 

PB: Die Kubai Figuren waren für mich sehr wichtig, da es hier auch eine Verbindung zu den Fotografien im Museumsarchiv gab. Einige der Fotografien dienten um 1900 zur Herstellung und Benennung von erfundenen wissenschaftlichen Kategorisierungen. Die Installation der Kubai Figuren zeigte diesen unbedingten Willen zur Benennung und Zurschaustellung des „Anderen“. Viele der kolonialen Schaupuppen existieren noch in verschiedenen Museen. Wir haben für die Ausstellung drei Kubai Figuren geliehen, eine befand sich selbst im Archiv in Frankfurt. Anhand des Leihverkehrs konnte man sehen, wie kritisch oder arglos die Museen mit diesen Schaupuppen umgehen. Manche Museen waren sehr stolz diese Figuren zu besitzen und für eine Ausstellung verleihen zu können, andere meinten, man solle sich überlegen, ob man diese Puppen ausstellt. An einer Wand in der Ausstellung habe ich in Form eines Plakates die Anfrage und Reaktionen des Leihverkehrs dokumentiert. Ich fand es wichtig, diesen institutionellen Vorgang auf diese Weise möglichst undidaktisch sichtbar zu machen. Der Raum, in dem die Puppen standen, war durch eine Barriere unzugänglich. Damit wollte ich eine klare Grenze setzten und sie nicht verfügbar machen. Durch die Sperre habe ich versucht auf das „Zeigen“ des Raum selbst hinzuweisen. Die Puppen stehen seitlich dem Fenster zugewandt, um Blickverweigerung und ein nicht zugänglich machen zu verdeutlichen. Die BesucherInnen müssen sich anstrengen, um die Figuren zu sehen und miteinander zu vergleichen. Die Puppen werden beispielsweise nicht so präsentiert, dass man um sie herum laufen könnte. Es war mir wichtig, dass sie nicht frei verfügbar sind.

 

BB: Dein Vortrag mit dem Titel „Das Ethnografische Museum als Wunschmaschine“, der am 10. April 2013 stattfinden sollte, ist leider krankheitsbedingt ausgefallen. Es sollte um die „Funktion von Repräsentation und Signifikanz der Semiotik in einem ethnografischen Museum“ gehen. Kannst Du Dich erinnern, was die Inhalte dieses Vortrags waren, und wenn ja, könntest Du eventuell kurz beschreiben, worum es gehen sollte?

 

PB: Bei dem Vortrag sollte es um viele Dinge gehen, die ich bereits erwähnt habe. An mehreren Themen arbeite ich nach wie vor. Ein Vortrag hat den Vorteil, dass man vieles kompakt und präzise darstellen kann und meist auch mit Text arbeitet, den man dann immer wieder lesen und ändern kann. Das Museum als Produktions- oder Wunschmaschine zu hinterfragen ist etwas, das man in einem Text sehr gut bearbeiten kann. Ich habe einen Entwurf, an dem ich arbeite.

 

BB: In einem Artikel (www.bielefelder kunstverein.de/en/exhibitions/2013/museum-off-museum-blog/peggy-buth.html (22.11.2016)) hast Du geschrieben, dass Du ständig Fragen gestellt bekommst, wie: „Wie kommt es, dass Deine künstlerische Arbeit so eng mit ethnologischen Museen verknüpft ist?“ oder, „Welchen Bezug hast Du zur Ethnologie?“. Stattdessen würdest Du Dir andere, aus Deiner Sicht relevante Fragen wünschen wie: „Wie arbeitest Du als Künstlerin, um Wissen zu historischen Prozessen und Ereignissen zu erzeugen?“ oder, „Welchen Anteil oder Stellenwert kann die Kunst einnehmen, um Geschichte zu schreiben, bzw. Geschichte zu repräsentieren?“

 

PB: Ich habe bisher verschiedene Arbeitsweisen genutzt. Teilweise sind sie denen von WissenschaftlerInnen ganz ähnlich, aber in vielen Fällen verhält es sich doch wieder anders. Das zeichnet sich durch einen anderen Umgang mit dem Material aus. In den letzten Jahren hat eine enorme Entwicklung auch in den diskursiven Wissenschaften stattgefunden. Im Gegensatz zu einer Einschreibung und Festschreibung geht es um neue Formen der produktiven Bearbeitung und Darstellung. Es geht vielleicht auch bei vielen jungen WissenschaftlerInnen um die Suche einer verorteten Funktion von Wissenschaft innerhalb einer Gesellschaft. Wozu wird untersucht? Zu welchem Zweck wird geforscht? Das sind ganz grundlegende Fragen und ich als Künstlerin sehe mich als eine, die da immer wieder dazwischen grätscht. In Form einer offenen Fehleranalyse mit künstlerischen Mitteln, habe ich eine größere Freiheit im Umgang mit dem Material. Momentan entstehen viele Kontakte oder Kooperationen zwischen KünstlerInnen und jüngeren WissenschaftlerInnen, die sich gegenseitig ermutigen. Mich interessieren Momente der Verwirrung, der Destabilisierung und Neuschreibung. Ich arbeite mit Themen, die so manch andere sich nicht zutrauen oder nicht interessieren, weil sie meinen, das wäre nicht Aufgabe der Kunst. Ich habe ein großes Interesse an Geschichte, an der literarischen Funktion von Geschichtsschreibung, an bruchstückhaften Überlieferungen und an subjektiven Formen der Aufzeichnungen oder oralen Weitergabe von Geschichte/n. Ich arbeite mit diesen Materialien installativ im Raum, im Buch oder auch im Film.

 

BB: In einem anderen Interview sprichst Du im Bezug auf das Künstlerbild von dem Begriff der Unschärfe. Du sagst: „Als erwünschten Fehler, als Unruhefaktor oder Unbestimmtheit nehmen KünstlerInnen Unschärfe dezidiert für sich in Anspruch, während dieses bei Akteuren aus dem Umfeld der politischen Theorie, der Soziologie oder der Kulturwissenschaft eher als unscharfes Interesse, Ungenauigkeit und vermeintlicher Mangel Unbehagen erzeugt.“ (https://www.textezurkunst.de/83/fur-transparente-verhaltnisse/ (22.11.2016)) In den Wissenschaften ist die Validität maßgeblich. Die Ethnologie hat sich durch die Krisen der Repräsentation immer wieder neu erfinden müssen. Ein starker subjektiver Charakter hat sich gezeigt und dieser durchwirkt die Geschichte. Wenn man das auf ethnologische Museen überträgt, stellen sich viele Fragen. Brauchen nicht gerade die ethnologischen Museen den Freiraum einer gewissen Unschärfe, um hegemoniale Strukturen zu durchbrechen? Was hältst Du von dieser Idee?

 

PB: Man könnte auch von einer größeren Offenheit sprechen. In vielen ethnologischen Museen werden die BesucherInnen an die Hand genommen, ihnen werden die Objekte und Zusammenhänge erklärt und vermeintliche Validität mit künstlerischen Mitteln inszeniert. In den ethnologischen Museen muss es aber um andere Dinge gehen, z.B. um die Darstellung von Zusammenhängen sowie eine komplexere Wissensvermittlung. In den Museen fühlt man sich sicher, wir sind umgeben von ständigen Erklärungen, Sicherheit, Öffnungszeiten und dem Museumsrestaurant. Wir sind im ständigen Modus der Betrachtung und des Konsums. Dabei wird uns in den Museen das Gefühl gegeben alles im Griff zu haben. Aber wo ist das Ungewisse, Unbestimmte? Ich kann mich noch erinnern, dass ich als Kind gerne in Museen gegangen bin, weil dort alles seine Ordnung hatte. Es war ein Ort, an dem alles durchdacht erschien, friedlich und ruhig. Heute muss das anders gedacht werden, denn es geht um Wissensvermittlung und komplexe Prozesse von Aufarbeitung. Letztendlich liegt es am Establishment, was gezeigt und was nicht gezeigt wird. Und was ist mit denen, die nicht mehr berichten können? Wo sind die Spuren derer, die vielleicht ganz anders Geschichte vermitteln als es in unseren Museen geschieht? Die Materialisierungen, Festschreibungen und Erklärungen stehen für unser Streben nach Abgrenzung und Sicherheit und unsere Angst im allgemeinen. In Museen mit den Begriffen der Unschärfe oder Offenheit zu agieren, ist das eigentlich Produktive auf der Suche nach Wissen. Das ist ein viel interessanterer Ansatz. Es ist menschlich, nicht alles wissen zu können. Es gibt unterschiedliche Formen der Wissensaneignung, die wir nicht alle beherrschen müssen. Allerdings muss man dieses Ungefähre oder Unscharfe auch aushalten müssen.

 

BB: An anderer Stelle führst Du aus: „Mir erscheint es wichtig, Prozesse der Sammlungstätigkeit in Bezug zu den angeeigneten Objekten zu interpretieren und darzustellen. Auch im Hinblick auf die Kunstgeschichte ist es wichtig, in Erfahrung zu bringen, warum gewisse Artefakte gesammelt wurden und werden. Ich glaube, dass man das in einer öffentlichen oder privaten Institution durchaus machen kann. Diese Form der selbstreflexiven Recherche gehört unbedingt zur Aufgabe eines Museums oder einer Sammlung dazu, um Prozesse der Subjektwerdung deutlich zu machen und offen zu legen.“ (Ebd.) Die Ausstellung „WARE & WISSEN (or the stories you wouldn’t tell a stranger)“ war ein solch selbstreflexiver Prozess. Worin lagen für Dich die Stärken dieser Ausstellung?

 

PB: Die Stärke dieser Ausstellung lag für mich vor allem in ihrer schwer überschaubaren Komplexität und den unterschiedlichen AkteurInnen, Stimmen oder auch Zitaten. Es war eine Reflexion und der Beginn einer kritischen Aufarbeitung der Gründungsgeschichte des Museums. Die transdisziplinäre Arbeit, die Workshops, die im Vorfeld stattfanden, waren ebenso Teil der Ausstellung. Die Ausstellung hatte lange vor der Ausstellung begonnen. Manche Kritiker warfen der Ausstellung vor, nicht faktisch genug zu sein. Es wurde bemängelt, dass vieles unklar blieb oder nur angeschnitten wurde. Das sind Bedürfnisse, die immer wieder mit mutigen Ausstellungskonzeptionen kollidieren. Ich glaube, dass „WARE & WISSEN (or the stories you wouldn’t tell a stranger)“ an diesem Ort etwas besonderes geleistet hat.

 

BB: In Deinem Beitrag im Katalog stellst Du heraus, dass „die Institution Museum eine wichtige Rolle im Zeitalter des globalen, post-industriellen Kapitalismus und transnationaler Konzerne spielt.“ (Peggy Buth, „Wir Alle“ Trauma, Verdrängung und Gespenster Im Museum, in: Clémentine Deliss (Hg.), Weltkulturen Museum (Hg.), Yvette Mutumba (Hg.), Ware&Wissen (or the stories you wouldn’t tell a stranger), 2014, Diaphanes, ISBN 978-3-03734-659-4, S.286) Was können Deiner Meinung nach die BesucherInnen dieser Institutionen tun, um einen Wandel hin zur Aufarbeitung und zur Dezentralisierung von hegemonialem Wissen zu erwirken?

 

PB: Ich denke, dass leider immer noch viele BesucherInnen mit der konsumistischen Erwartung in das Museum gehen, etwas geboten zu bekommen, unterhalten zu werden. Anhand vieler, eher konsumorientierter Angebote für Gruppen, Kinder und Familien kann man erkennen, dass dahinter ein eher stark ökonomischer Faktor steht. Museen sind von diesem ökonomischen Begehren sehr geprägt, sie sollen möglichst viele BesucherInnen ins Museum bringen. Und das hat wiederum damit zu tun, was, wie in Museen ausgestellt wird und welche Programme parallel dazu angeboten werden. Viele Museen handeln da recht eingleisig. Um möglichst hohe Besucherzahlen zu erreichen, werden Spektakel veranstaltet. Die BesucherInnen könnten natürlich einfach nicht mehr hingehen, aber viele ethnologische Museen werden subventioniert und es spielt keine Rolle, ob jemand kommt oder nicht. Ein Museum zu schließen wäre für mich auch keine Lösung. Man könnte Displays oder Präsentationsweisen aus der kolonialen Zeit zeigen und anhand dessen die Geschichte der kolonialen Repräsentation versuchen zu vermitteln. BesucherInnen müssten eine andere Museumspolitik einfordern. Und gerade auch die Wissenschaften, die in gewisser Weise Autoritätsträger sind, müssten auf viel radikalere Weise andere Formen der Wissensvermittlung in den Museen und zu allererst in den Bildungseinrichtungen einfordern. Es kommt auch darauf an, wie sich diese globalisierte Gesellschaft weiterentwickelt. Rufe nach Sicherheit, Absicherung, Abgrenzung und Nationalismus werden wieder laut. Sicher kein Klima für neue Entwürfe.

 

BB: Ich danke Dir sehr für das wertvolle Gespräch!